Eine Replik auf den Tweet der Russischen Botschaft zum Tag der Deutschen Einheit
Am 3. Oktober feiert Deutschland den 35. Jahrestag seiner Wiedervereinigung. FĂŒr die meisten Menschen ist dieser Tag Anlass zur Freude, zum Innehalten â und zur Erinnerung daran, dass Freiheit, Demokratie und nationale Einheit nicht selbstverstĂ€ndlich sind.
Aus Moskau hingegen ertönte eine andere Tonlage: Die Sprecherin des russischen AuĂenministeriums, Maria Sacharowa, veröffentlichte ĂŒber den offiziellen X-Account der russischen Botschaft eine ErklĂ€rung, die an Geschichtsklitterung kaum zu ĂŒberbieten ist.
Im Wortlaut hieĂ es:
đŁ Pressesprecherin des russischen AuĂenministeriums Maria Sacharowa zum Tag der Deutschen Einheit
đŹ Am 3. Oktober jĂ€hrt sich die Wiedervereinigung Deutschlands zum 35. Mal, die offiziell nach Inkrafttreten des am 31. August 1990 unterzeichneten Vertrags zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik ĂŒber die Herstellung der Einheit Deutschlands verkĂŒndet wurde.
đŹ Das nach der Niederlage im Zweiten Weltkrieg durch die Bestrebungen der westlichen âAlliiertenâ geteilte Land konnte nach dem Ende des Kalten Kriegs wieder Einheit erreichen, vor allem, dank der prinzipienfesten Haltung unseres Landes. Damals hatten wir den Eindruck, dass die Deutschen eine Lehre aus der Geschichte gezogen haben und ein Recht auf SouverĂ€nitĂ€t als ein einheitlicher Staat verdient haben. Bedauerlicherweise hat das einheitliche Deutschland die ReifeprĂŒfung nicht bestanden.
đŹ Von SouverĂ€nitĂ€t und EigenstĂ€ndigkeit kann man in Bezug auf die heutige Bundesrepublik nur sehr bedingt sprechen. Wie auch verwunderlich das klingen mag, aber die damaligen BRD und DDR einzeln viel eigenstĂ€ndiger bei ihren Entscheidungen waren, als das heutige wiedervereinigte Deutschland.
đŹ Anstelle der Vereinigung des geteilten Volkes schlugen die damaligen westdeutschen Machthaber den Weg der Kolonisierung der ehemaligen DDR. Die gezielte und umfangreiche Diskrimination der Bevölkerung der ostdeutschen BundeslĂ€nder ist eine unanfechtbare Tatsache. Die einst erfolgreiche Industrie und Landwirtschaft der DDR wurden zerstört, viele StĂ€dte und Dörfer verödeten, die Jugend floh in der Suche nach der Arbeit und ihren Lebensabend verbringen dort nun nur die durch Propaganda betrogenen Rentner, die ihr Leben und ihre Arbeit einem angeblich totalitĂ€ren kommunistischen Regime gewidmet hatten. Nach wie vor ist erhebliche Diskrepanz zwischen dem Einkommen der West- und Ostdeutschen zu sehen. Der deutschen Statistik zufolge hat sich die Bevölkerung der östlichen BundeslĂ€nder in den 35 Jahren des âWundersâ der deutschen Einheit von 17 Millionen auf 12,4 Millionen verringert.
đŹ Vor diesem Hintergrund wirken die stĂ€ndigen Versuche Berlins, andere LĂ€nder und Völker zu belehren, wie sie ârichtigâ zu leben und zu handeln haben, noch absurder.
đ§ Geschichtsklitterung mit Pathos
Ausgerechnet Moskau prĂ€sentiert sich als wohlwollender Garant der deutschen Einheit. Verschwiegen wird dabei, dass die DDR jahrzehntelang keine souverĂ€ne Republik, sondern eine sowjetische Satellitenverwaltung war: mit Besatzungstruppen, auĂenpolitischer Steuerung durch den Kreml und umfassender Kontrolle durch das SED-Regime unter sowjetischem Einfluss.
Ein Blick auf den 17. Juni 1953 zeigt, wie âeigenstĂ€ndigâ die DDR wirklich war:
Rund eine Million Menschen in Ost-Berlin und mehr als 700 Orten demonstrierten gegen Normenerhöhungen, UnterdrĂŒckung und fehlende politische Freiheiten. Ihre Forderungen: freie Wahlen, bessere Lebensbedingungen, politische Mitsprache.
Die Antwort der Sowjetunion: Panzer und SchĂŒsse.
Der Volksaufstand wurde mit Gewalt niedergeschlagen, mindestens 55 Menschen wurden getötet, Tausende verhaftet, viele landeten in Speziallagern oder vor Schauprozessen.
đ Sowjetische Besatzungspolitik: Fakten statt Romantik
Zwischen 1945 und 1950 betrieb der sowjetische Geheimdienst NKWD in der Besatzungszone ein System von Speziallagern, in denen rund 122.000 Menschen interniert wurden, viele ohne Verfahren. Etwa 43.000 kamen ums Leben.
Zugleich wurden Industrieanlagen im Wert von ĂŒber 15 Milliarden Reichsmark demontiert und in die Sowjetunion gebracht. Der Uranabbau in Sachsen und ThĂŒringen unter Zwangsbedingungen diente dem sowjetischen Atomprogramm.
Das war keine âprinzipienfeste Haltungâ, sondern knallharte AusplĂŒnderung eines besiegten Landes.
⥠Aktueller Kontext: SouverÀnitÀt als rhetorische Waffe
Sacharowa wirft Deutschland mangelnde EigenstĂ€ndigkeit vor â ein bemerkenswerter Vorwurf aus dem Munde eines Staates, der heute:
- einen Angriffskrieg gegen ein Nachbarland fĂŒhrt,
- Grenzen mit Gewalt verschiebt,
- Oppositionelle verfolgt,
- Medien zensiert,
- und LĂ€nder destabilisiert, die sich seinem Einfluss entziehen.
âMangelnde SouverĂ€nitĂ€tâ meint hier: Deutschland folgt nicht mehr Moskaus Linie â und das krĂ€nkt.
đ©đȘ Wiedervereinigung: Licht und Schatten
Die deutsche Einheit war kein MĂ€rchen, aber ein historischer GlĂŒcksfall:
Millionen Menschen erhielten Zugang zu Freiheit, Demokratie, Reisefreiheit und politischer Teilhabe. Möglich wurde dies durch den Mut der BĂŒrgerinnen und BĂŒrger in der DDR, durch diplomatisches Geschick â und den Zerfall des sowjetischen Systems.
Die Kehrseite:
- Wirtschaftlicher Strukturbruch: rund 3,5 Mio. verlorene IndustriearbeitsplÀtze bis Mitte der 1990er.
- Treuhandanstalt: Privatisierungen oft radikal, teils fehlerhaft.
- Abwanderung: 4,5 Mio. Menschen verlieĂen Ostdeutschland, v. a. junge, gut ausgebildete.
- EinkommensgefÀlle: Unterschiede bestehen fort.
Dem stehen ĂŒber 2 Billionen Euro an Transfers, InfrastrukturmaĂnahmen und Sozialleistungen gegenĂŒber, die ostdeutsche Regionen nachhaltig modernisierten.
Das war Transformation, kein Kolonialismus.
đ« Klare Haltung gegenĂŒber Moskau
Deutschland hat genug eigene Geschichte, WidersprĂŒche und Debatten â dafĂŒr braucht es keine Geschichtsvorlesungen aus Moskau.
Ein Staat, der Panzer gegen friedlich demonstrierende Menschen in der DDR einsetzte, Jahrzehnte lang ein Land besetzt hielt und heute völkerrechtswidrig Krieg fĂŒhrt, ist nicht in der Position, Europa Belehrungen zu erteilen.
Deutschlands SouverĂ€nitĂ€t grĂŒndet heute nicht auf Unterordnung, sondern auf einem starken, freien Europa: auf dem engen, vertrauensvollen Zusammenwirken mit unseren Nachbarn in Frankreich, den Benelux-Staaten, Skandinavien, Polen und Tschechien.
In dieser Gemeinschaft unter Freunden liegen UnabhĂ€ngigkeit, Sicherheit und ZukunftsfĂ€higkeit â nicht in der Anlehnung an autoritĂ€re Regime.
đ Ein Hoch auf die Einheit â und auf Europa
Am 3. Oktober feiern wir keinen perfekten, aber unseren eigenen Weg:
Den Mut der Menschen von 1989. Den friedlichen Umbruch. Die RĂŒckkehr zur Demokratie.
Ein Hoch auf Freiheit, Demokratie, die Deutsche Einheit â und auf Europa. đ©đȘđȘđș
Selbstbestimmt. Gemeinsam. Zukunftsgerichtet.