Wenn einer eine Reise tut … dann kann er was erleben (1. Klasse, Deutsche Bahn, Endgegner-Modus)

Michael, Andrea und Hund Balou wollten eigentlich nur eines: entspannt von Bremen nach Berlin. Also 1. Klasse. „Sorgenfrei“, wie es irgendwo in der Werbung heißt. Spoiler: Sorgenfrei ist bei der DB kein Zustand, sondern ein Fantasy-Genre.


Die brandneue Verbindung – frisch aus dem Fahrplanwechsel, direkt ins Nichts

Es begann mit der brandneuen ICE-1045-Verbindung, frisch aus dem Fahrplanwechsel im Dezember. Abfahrt: 15:15, Bremen–Berlin, direkt. Ein Zug, so neu, dass man fast erwartete, er würde noch mit Schutzfolie geliefert.

30 Minuten vor Abfahrt dann die Nachricht: gestrichen.
Ohne Ersatz. Ohne Erklärung. Einfach weg. Als hätte der ICE kurz nachgedacht und entschieden: „Heute lieber Homeoffice.“


Ersatzverkehr: Die Kunst, Menschen in einen RE zu falten

Also Plan B: alternativer RE.
Er kam – natürlich – mit 40 Minuten Verspätung. Und er war so überfüllt, dass selbst die Luft nur noch mit Reservierung atmete.

Menschen pressten sich ineinander wie Tetris-Steine, nur ohne Punkte und mit Gepäck. Balou stand mittendrin und bewachte seinen Schwanz, als wäre er ein wertvolles Handgepäckstück.


Der Glücksmoment: Ein IC nach Hannover – und tatsächlich Platz

Dann: ein kleiner Lichtblick. Ein IC nach Hannover, der noch Platz hatte. Eine Tür in ein besseres Leben. Michael, Andrea und Balou stiegen ein – zur Schonung von Knochen (Michael & Andrea) und Schwanz (Balou). Denn noch eine Runde „RE-Wrestling“ hätte irgendwann als Kontaktsport gegolten.


Hannover: Bahnsteig-Oper in drei Akten (plus Kinderchor und Hundesolist)

Hannover. Der nächste Akt. Der ICE 149 aus Amsterdam, recht kurz, schon gut gefüllt – und offenbar als Rettungsboot für zwei ausgefallene Berlin-Züge vorgesehen.

Der Bahnsteig: voll. Drängende Menschen. Plärrende Kinder. Kläffende Hunde. Chaos pur. Balou kläffte nicht – er beobachtete nur und dachte vermutlich: „Ihr habt das so gebucht.“

Der Lautsprecher plärrte in jener heiteren Stimme, die nur existiert, weil sie nie selbst auf Gleis 7 friert:
„Bitte überlegen Sie, ob Sie einsteigen. Der Zug ist überfüllt.“

Nach 40 Minuten auf dem kalten Bahnsteig hatte niemand mehr Energie zum Überlegen. Man wollte nur noch rein. Irgendwohin. Notfalls auch in den Maschinenraum.


1. Klasse: Premium-Leiden mit Sitzplatz-Saga

Michael drückte sich Richtung 1. Klasse – schließlich hatte man dafür bezahlt, wenigstens stilvoll zu scheitern. Und tatsächlich: ein grünes Licht, ein freier Platz! Für Andrea und Balou! Ein Moment wie in einem Film, kurz bevor das Monster wieder auftaucht.

Und da war es.

Auf dem Fensterplatz thronte die Dame – königlich, unangreifbar, als wäre sie persönlich vom Fahrplanwechsel eingesetzt worden. Und neben ihr, auf dem eigentlich freien Platz, lag der Monsterkoffer. Nicht so ein normaler Koffer. Eher ein Endgegner mit Reißverschluss. Er nahm den Sitz ein wie ein zahlender Fahrgast mit Premium-Status und eigener Meinung.

Die Botschaft war klar:
Die Dame sitzt. Der Koffer wohnt. Andrea darf hoffen. Balou kann sehen, wo er bleibt.

Michael setzte seinen freundlich brummigen Nachdruck ein – diese norddeutsche Mischung aus Höflichkeit und „gleich kippt hier jemand den Speisewagen“. Der Monsterkoffer wurde bewegt. Widerwillig. Zentimeterweise. Als müsste man ihn aus einem Kleinstaat abziehen.

Andrea saß. Balou auch. Michael stand daneben und saß gelegentlich auf der Lehne wie in der Stehbierhalle – nur ohne Bier, ohne Musik und ohne Ober. Der Ober war vermutlich „betriebsbedingt entfallen“. Oder er war gerade damit beschäftigt, irgendwo ein Mineralwasser zu verteidigen.


Spandau: Das Ende des Spuks – und der Bonuslevel RE4

Nach 80 Minuten war der Spuk in Spandau vorbei. Kurz darauf ging’s mit dem RE4 direkt nach LIO weiter – ein Nachspiel, das sich anfühlte wie „Bonuslevel: Gepäckkampf“.

Eine Dame schaffte es nicht auszusteigen, weil sie ihren Koffer nicht bekam – blockiert von sitzenden, stehenden und existierenden Menschen. Der Zug fuhr weiter zum Hauptbahnhof, begleitet von ihrem Gezeter, das sich in die DB-Geschichte einreihte wie ein akustischer Stempel: „Kundenerlebnis bestätigt.“

Und dann war da noch der Mann, der sich kurz vor Spandau durch zwei Wagen zum Bistro wühlte, um ein Mineralwasser zu kaufen – ein Held der Grundversorgung. Am Hauptbahnhof, dachte Michael, hätte er das vermutlich nicht bekommen. Unvorstellbar.


Fazit: Entspannt und sorgenfrei – nächstes Mal bestimmt

Als sie schließlich ankamen, war Balou ruhig. Andrea auch. Michael auch – aber nur kurz. Denn tief in ihm formte sich der Gedanke, der jede DB-Reise abrundet wie ein letzter, klebriger Kuss der Realität:

„Nächstes Mal buchen wir wieder 1. Klasse. Entspannt und sorgenfrei.“

Natürlich. Was sonst.

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