Ein neuer Ansatz für nachhaltige öffentliche Haushalte
Problem und Ziel:
In Deutschland wächst vielerorts der Investitionsstau in Straßen, Schulen, Kitas und anderen öffentlichen Einrichtungen. Dringende Sanierungen werden aufgeschoben, weil Haushalte kurzfristig auf Konsolidierung setzen. Gleichzeitig steigen die Anforderungen an Pflichtaufgaben durch demografische, gesetzliche und gesellschaftliche Entwicklungen. Die Folge: schleichender Substanzverlust, Leistungsabbau und Vertrauensverlust in die öffentliche Hand.
Deshalb wird vorgeschlagen, in der Haushaltsgesetzgebung verbindlich festzuschreiben, dass Mittel für Basis- und Pflichtaufgaben sowie für die Erhaltung und Sanierung öffentlicher Investitionen dauerhaft gesichert werden – und zwar auf Basis geeigneter politischer Maßzahlen oder betriebswirtschaftlicher Indikatoren wie etwa Abschreibungen.
Notwendigkeit der Regelung
- Investitionsrückstand und Substanzverlust: Der kommunale Investitionsstau in Deutschland wird auf 100–150 Mrd. € geschätzt [1][2]. Der Wertverfall von Infrastruktur führt zu hohen Folgekosten. Eine planlose Verschleppung von Instandhaltung ist ineffizient und teuer [3].
- Vernachlässigung von Pflichtaufgaben: Selbst zentrale Bereiche wie Bildung, Soziales oder innere Sicherheit geraten unter Druck, wenn Infrastruktur und Personal unterfinanziert sind. Ohne verbindliche Finanzierungsvorgaben steigt die Gefahr, dass Pflichtaufgaben strukturell ausgehöhlt werden [3][8].
- Generationengerechtigkeit: Öffentliche Investitionen betreffen kommende Generationen. Werden Abschreibungen und Erhaltungsaufwand nicht berücksichtigt, werden „stille Schulden“ angehäuft. Eine Regelung nach dem Substanzerhaltsprinzip gilt daher als elementarer Baustein verantwortungsvoller Finanzpolitik [5].
Konkrete Indikatoren und Maßzahlen
- Abschreibungsquote: Die jährlichen planmäßigen Abschreibungen in der Doppik spiegeln den Werteverzehr wider [6]. Die Verpflichtung, diesen Wert mindestens zu reinvestieren, sichert langfristig die Werterhaltung.
- Investitionsquote: Eine gesetzlich definierte Untergrenze (z. B. 10 % des Haushaltsvolumens) für Nettoinvestitionen würde strategische Zukunftsprojekte absichern [3][7].
- Erhaltungsquote: Mindestens 2 % des Anlagevermögens sollten jährlich für Instandhaltung eingeplant werden – eine bewährte Faustregel aus der Bau- und Wohnungswirtschaft [7].
- Pflichtaufgabenquote: Ein fester Anteil des Haushalts sollte für gesetzlich definierte Aufgabenbereiche reserviert sein. Das schützt die Handlungsfähigkeit des Staates in Kernfeldern [8].
- Sonderfonds: Zweckgebundene Infrastrukturfonds, gespeist aus Abschreibungswerten oder Haushaltsüberschüssen, bieten eine transparente Lösung für längerfristige Investitionsvorhaben.
Gesetzliche Umsetzung
- Haushaltsgrundsätzegesetz (HGrG): Das HGrG könnte um eine Pflicht ergänzt werden, Instandhaltungs- und Investitionsmittel in Relation zum bilanzierten Werteverzehr bereitzustellen [4].
- Landes- und Kommunalrecht: Bundesländer und Kommunen sollten entsprechende Vorgaben in ihre Haushaltsordnungen aufnehmen – differenziert nach ihrer Leistungsfähigkeit.
- Transparenz und Kontrolle: Die Einhaltung der Quoten oder Zielwerte müsste durch Prüfungsbehörden kontrolliert und öffentlich berichtet werden. Sanktionen bei strukturellem Verstoß wären möglich (z. B. Einschränkungen bei freiwilligen Leistungen).
- Krisenmechanismen: Ausnahmen für außergewöhnliche Notlagen (z. B. Pandemien, Naturkatastrophen) sollten gesetzlich definiert werden, ohne die Regel ins Leere laufen zu lassen.
📦 Infobox: Internationale Beispiele für verbindliche Instandhaltungs- und Investitionsregelungen
Land | Ansatz | Kurzbeschreibung |
---|---|---|
Kanada | Infrastructure Accountability | Mehrere Provinzen (z. B. Ontario) müssen geplante Infrastrukturabschreibungen und Instandhaltungsbudgets offenlegen und in die Haushaltsplanung integrieren. Ohne Nachweis drohen Projektstopp oder Budgetkürzung. |
Finnland | Golden Rule of Public Investment | Die „Goldene Regel“ verpflichtet die Regierung, Investitionen vorrangig zu finanzieren. Laufende Ausgaben dürfen nicht durch Schulden gedeckt werden; nur Investitionen dürfen Defizite begründen. Infrastrukturprogramme müssen Substanzerhalt nachweisen. |
Niederlande | Long-Term Maintenance Planning (MJOP) | Kommunen und öffentliche Einrichtungen müssen für Gebäude und Anlagen Mehrjahres-Instandhaltungspläne (mindestens 10 Jahre) erstellen. Diese Pläne sind verpflichtender Teil der Finanzierungsstrategie und des Haushalts. |
Österreich | Infrastruktur-Sonderfonds | Mehrere Städte und Länder betreiben eigenständige Infrastrukturfonds, deren Mittel zweckgebunden für Erhalt und Modernisierung eingesetzt werden. Teilweise gesetzliche Mindestdotierungen aus Überschüssen oder Abschreibungswerten. |
📌 Diese Beispiele zeigen: Verbindliche Planung und Finanzierung von Instandhaltung und Substanzerhalt funktioniert – und wirkt nachhaltig stabilisierend.
Vorteile
- Substanzerhalt statt Nachsorge: Teure Sanierungen und Rückstaus lassen sich vermeiden, wenn Werterhalt frühzeitig gesichert wird [3][5].
- Transparenz und Planbarkeit: Politische Entscheidungsträger und Öffentlichkeit erhalten klarere Informationen über infrastrukturelle Risiken und Vorsorge [6][7].
- Stärkere Resilienz: Stabilere Pflichtaufgaben und Infrastruktur bedeuten mehr Handlungsfähigkeit in Krisen und weniger volkswirtschaftliche Folgeschäden.
- Generationengerechtigkeit: Eine nachhaltige Haushaltssteuerung schützt nicht nur vor explodierenden Sanierungskosten – sie bewahrt auch Handlungsspielräume künftiger Generationen [5].
Herausforderungen
- Ausgewogenheit und Flexibilität: Quoten müssen realistisch und differenzierbar sein – zu starre Vorgaben könnten kleinere Kommunen überfordern [7].
- Verwaltungsaufwand: Einführung und Monitoring geeigneter Indikatoren erfordern Investitionen in Personal, IT und Know-how [6].
- Politische Akzeptanz: Neue Regeln könnten als Einschränkung empfunden werden. Einbindung der kommunalen Spitzenverbände und transparente Übergangsregelungen sind entscheidend.
Fazit
Eine verbindliche Regelung von Haushaltsmitteln für Pflichtaufgaben, Instandhaltung und Sanierung bietet erhebliches Potenzial für mehr Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit in der öffentlichen Finanzwirtschaft. Die systematische Ankopplung an geeignete Indikatoren wie Abschreibungen oder Investitionsquoten schafft Transparenz, verhindert schleichenden Substanzverlust und stärkt langfristig die Qualität öffentlicher Dienstleistungen.
Zusammengefasst:
- Der Erhalt der öffentlichen Infrastruktur muss als ebenso verpflichtende Aufgabe gelten wie der Ausgleich von Haushalten.
- Durch die Verankerung verbindlicher Mindestwerte für Instandhaltung und Investitionen wird finanzpolitische Kurzsichtigkeit verhindert.
- Internationale Beispiele zeigen, dass verbindliche Finanzierungsregeln die Widerstandsfähigkeit und Planungssicherheit von Staat und Kommunen deutlich verbessern können.
Appell:
Gerade angesichts des wachsenden Investitionsstaus, der alternden Infrastruktur und der Anforderungen an eine zukunftsfähige Daseinsvorsorge sollte die Idee, Mittel für Substanzerhalt und Pflichtaufgaben gesetzlich abzusichern, jetzt konsequent weiterverfolgt werden. Politik, Verwaltung und Wissenschaft sind aufgerufen, diesen Ansatz aufzugreifen, geeignete Modelle zu entwickeln und Pilotprojekte zu starten.
Nur so kann sichergestellt werden, dass die öffentliche Hand ihrer Verantwortung gegenüber heutigen und künftigen Generationen gerecht wird – und unser gesellschaftliches Fundament auch morgen noch tragfähig bleibt.
Denn wer heute nicht systematisch für den Erhalt investiert, wird morgen den doppelten Preis für den Wiederaufbau zahlen. Eine nachhaltige Haushaltspolitik beginnt dort, wo Pflichtaufgaben und Infrastruktur nicht vernachlässigt, sondern vorausschauend geschützt werden – im Interesse aller Generationen.
Quellenverzeichnis
[1] Deutscher Städte- und Gemeindebund (DStGB): Kommunaler Investitionsrückstand – Bestandsaufnahme und Handlungsoptionen, 2023.
[2] KfW: Kommunalpanel 2024 – Analysebericht zu Investitionen und Finanzen der Kommunen.
[3] Institut der deutschen Wirtschaft (IW Köln): Substanzerhalt im öffentlichen Kapitalstock, Gutachten 2023.
[4] Bundesministerium der Finanzen (BMF): Haushaltsgrundsätzegesetz (HGrG), aktuelle Fassung 2024.
[5] Wissenschaftlicher Beirat beim BMF: Generationengerechte Finanzpolitik durch Substanzerhalt, 2022.
[6] KGSt: Doppik und Abschreibungen – Grundlagen und Anwendung in Kommunen, 2021.
[7] Difu: Infrastruktur erhalten statt reparieren – Strategien für nachhaltige Haushaltssteuerung, 2022.
[8] Bertelsmann Stiftung: Kommunale Pflichtaufgaben sichern – Vorschläge für eine belastbare Grundfinanzierung, 2023.
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