Prolog
Als das neue Postgesetz im Sommer 2024 in Kraft trat, war der Anspruch hoch: Verbraucher:innen sollten stärker geschützt, die Qualität der Zustellung verbessert und das Marktgeschehen transparenter werden. Kapitel 4 des Gesetzes – die §§ 31 bis 34 – formulieren hierzu klare Vorgaben: Postdienstleister müssen ihre Kundschaft verständlich, rechtzeitig und transparent über alle relevanten Produktinformationen sowie auftretende Probleme informieren.
Doch fast ein Jahr später zeigt sich: Vieles bleibt Stückwerk, einiges wurde verschlimmbessert – und zentrale Ziele des Gesetzes werden systematisch unterlaufen. Statt echter Modernisierung hat man ein Gesetz geschaffen, das auf dem Papier glänzt – in der Umsetzung jedoch bürokratisch, lückenhaft und in Teilen wirkungslos ist.
Schöne Normen, schwache Wirkung: Der systematische Bruch der §§ 31 ff. PostG
Ein Paradebeispiel für die Wirkungslosigkeit des neuen Rechtsrahmens ist die fortgesetzte Praxis der Deutschen Post AG, Nachforschungsaufträge weiterhin nur vom Versender entgegenzunehmen – nicht aber vom Empfänger. Diese Haltung steht in klarem Widerspruch zu § 31 PostG, wonach Anbieter verpflichtet sind, Kundinnen und Kunden bei der Nutzung von Postdienstleistungen angemessen zu unterstützen. Dazu gehört selbstverständlich auch die Möglichkeit, als Empfänger aktiv eine Nachverfolgung einzuleiten – insbesondere wenn der Versender im Ausland sitzt oder nicht kooperiert.
Die Weigerung der Post, das gesetzlich vorgesehene Recht auf Empfängeranfragen umzusetzen, ist nicht nur kundenfeindlich, sondern rechtlich bedenklich. Sie dokumentiert zugleich, wie wirkungslos die neuen Vorschriften bleiben, wenn eine marktbeherrschende Anbieterin sich ihrer Verantwortung systematisch entzieht – ohne Konsequenzen fürchten zu müssen.
Verbraucherschutz – versprochen, nicht geliefert
Die gesetzlich verankerten Informationspflichten (§ 32 PostG) verpflichten Postdienstleister zur proaktiven und transparenten Kommunikation bei Problemen. Doch auch hier herrscht Realitätssabotage: Kund:innen berichten über automatisierte Antwortmails, ausbleibende Erreichbarkeit und fehlende Rückmeldungen bei Zustellmängeln.
Die Zahlen sprechen für sich:
- 44.406 Beschwerden im Jahr 2024 – 89 % davon gegen die Deutsche Post AG,
- davon 97 % im Briefbereich – in dem die Deutsche Post eine faktisch monopolartige Stellung innehat,
- Berlin ist mit über 9 Beschwerden pro 10.000 Einwohner bundesweiter Negativrekordhalter.
Die Bundesnetzagentur unter ihrem Präsidenten Klaus Müller registriert diese Beschwerden, prüft in Einzelfällen sogar regional – aber ein spürbares Umsteuern? Fehlanzeige. Stattdessen kündigt man für 2026 eine eigene Brieflaufzeitmessung an – was de facto bedeutet: Mindestens zwei Jahre nach Gesetzeseinführung bleibt die Kontrolle zentraler Qualitätsstandards ungelöst.
Eine Reform, die Komplexität statt Klarheit gebracht hat
Statt die Rechte der Verbraucher:innen zu stärken und Verfahren zu vereinfachen, hat das neue Postgesetz an vielen Stellen vor allem eines bewirkt: einen massiven Bürokratieaufbau. Ein Beispiel: das sogenannte Anbieterverzeichnis. Wer Postdienstleistungen erbringen will, muss sich dort registrieren lassen. Gut gemeint – aber:
- Bereits im ersten halben Jahr nach Inkrafttreten sind über 4.200 Anträge eingegangen,
- die Bearbeitung erfolgt derzeit manuell über eine IT-Übergangslösung mit Medienbrüchen,
- rund 20 Anträge pro Woche können bearbeitet werden – bei bis zu 60 neuen pro Woche,
- mit dem vorhandenen Personal würde die Bearbeitung Jahre dauern.
Das Resultat: Die Bundesnetzagentur agiert unterbesetzt, überlastet und digital rückständig – mit der Folge, dass ein zentrales Steuerungsinstrument ins Leere läuft. Unternehmen, die tatsächlich registriert sein müssten, operieren weiter in einem Graubereich. Und Verbraucher:innen, die erwarten dürften, dass „zugelassene Anbieter“ eine gewisse Qualität garantieren, werden erneut enttäuscht.
Und wer schützt nun die Kund:innen?
In diesem dysfunktionalen Dreieck aus Gesetz, Markt und Kontrolle kommt dem Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) unter Ramona Pop eine Schlüsselrolle zu. Und tatsächlich: Der vzbv hat frühzeitig auf die Schwächen des Gesetzes hingewiesen – und tut es noch immer.
Besonders deutlich wird der vzbv bei folgenden Punkten:
- Kommunikationsmängel der Post: Verbraucher:innen würden regelmäßig nicht informiert, auch nicht bei klaren Qualitätsmängeln.
- Einschränkung der Verbraucherrechte: Dass nur Versender Nachforschungen anstoßen können, sei verbraucherfeindlich – und gehöre korrigiert.
- Bußgeldbefugnisse müssen genutzt werden: Die BNetzA dürfe sich nicht auf Appelle beschränken, sondern müsse ihre neuen Sanktionsinstrumente endlich einsetzen.
- Regelmäßige Statusinformationen und verbindliche Kommunikationsstandards müssten gesetzlich fixiert werden, um Kundenzufriedenheit überhaupt zu ermöglichen.
Dabei geht es nicht um Luxus, sondern um Grundversorgung – und das Vertrauen in eine Infrastruktur, auf die täglich Millionen Menschen angewiesen sind.
Fazit: Der Kaiser hat neue Kleider – aber friert weiter
Das neue Postgesetz war als Fundament für ein modernes, kundenorientiertes Postwesen gedacht. In Wahrheit jedoch wirkt es bislang wie ein legislativer Feigenblatt-Akt: Viele hehre Ziele, flankiert von Paragrafenreihen und Ermächtigungen – aber ohne faktische Wirkung für die Betroffenen.
Der Kundenschutz, als Herzstück des Gesetzes, wird aktuell nicht gelebt, sondern verwaltet. Die Bundesnetzagentur kämpft mit Ressourcenmangel und Systembrüchen. Die Deutsche Post AG interpretiert Pflichten als Vorschläge. Und der Gesetzgeber schweigt – trotz klarer Zahlen, zahlloser Beschwerden und offener Gesetzesverstöße.
Was bleibt, ist ein Appell – an den vzbv, an die BNetzA und an die Politik:
Wenn man den Kundenschutz wirklich will, muss man ihn nicht nur regeln, sondern durchsetzen.