Kooperativer Neustart für Berlins Verwaltungs-IT: ITDZ Berlin zwischen Altlasten und Zukunftschancen


1. Ausgangslage: ITDZ Berlin im Fokus der Verwaltungsmodernisierung

Das IT-Dienstleistungszentrum Berlin (ITDZ Berlin) ist der zentrale IT-Serviceprovider der Berliner Verwaltung. Es betreibt Infrastrukturen, Fachverfahren und digitale Services für Behörden und Bürger*innen. Nach Jahren schleppender Digitalisierung und wiederkehrender IT-Störungen hat der Regierende Bürgermeister Kai Wegner im April 2025 einen „Neustart der Verwaltungsdigitalisierung“ angekündigt.

In der offiziellen Pressemitteilung heißt es:

„Verwaltungsmodernisierung beginnt mit Digitalisierung. […] Gemeinsam mit dem ITDZ Berlin […] haben wir ein Innovationslabor geschaffen, das neue Technologien identifiziert und für unsere Verwaltung nutzbar macht.“
📄 Quelle: https://www.berlin.de/rbmskzl/aktuelles/pressemitteilungen/2025/pressemitteilung.1552296.php

Die Neuausrichtung umfasst:

  • eine überarbeitete Digitalstrategie,
  • ein neues Innovationslabor beim ITDZ Berlin,
  • sowie eine zentrale Architektursteuerung für künftige IT-Vorhaben.

Die politischen Signale sind klar: Die Digitalisierung der Berliner Verwaltung soll künftig schneller, verbindlicher und bürgernäher vorangetrieben werden. Doch das allein reicht nicht. Es braucht strukturelle Reformen – und vor allem: eine neue Form der systematischen Zusammenarbeit mit der regionalen Digitalwirtschaft.


2. Herausforderungen: Altlasten, Ausfälle, Akzeptanzprobleme

Viele IT-Systeme der Berliner Verwaltung sind technologisch überholt, kaum skalierbar und untereinander schlecht integriert. Sie basieren häufig auf monolithischen Fachverfahren mit begrenzter Weiterentwicklungsperspektive. Die Folge: Innovationsstau, mangelnde Performance und hohe Ausfallanfälligkeit.

Das zeigte sich exemplarisch beim IT-Ausfall im Dezember 2023, als eine zentrale Datenbank des ITDZ fehlerhaft aktualisiert wurde. Mehrere Tage lang konnten keine Bürgeramtstermine gebucht oder Ausweisdokumente beantragt werden. Die betroffenen Ämter arbeiteten mit Papiernotlösungen, viele Termine verfielen ersatzlos. Solche Ausfälle unterminieren das Vertrauen in digitale Verwaltungsprozesse – und machen deutlich, dass Resilienz und Skalierbarkeit dringend gestärkt werden müssen.

Ein weiteres Problem: lange Umsetzungszeiträume und fehlende Nutzerzentrierung. Projekte wie die E-Akte wurden mehrfach verschoben und sind von Akzeptanzproblemen und Usability-Mängeln geprägt. Die Ursachen liegen nicht nur in der Technik, sondern auch in fragmentierten Zuständigkeiten, überregulierten Vergabestrukturen und einer oft zu geringen Beteiligung externer Innovationspartner.


3. Beispiel Terminvergabe: Sinnvolle Digitalisierung mit Strukturdefiziten

Die digitale Terminvergabe für Verwaltungsdienstleistungen – insbesondere in den Berliner Bürgerämtern – ist ein Paradebeispiel für ein grundsätzlich sinnvolles digitales Angebot, das jedoch an technischen, organisatorischen und föderalen Grenzen scheitert.

Probleme sind unter anderem:

  • wiederkehrende Nichtverfügbarkeit von Terminen,
  • hohe Hürden bei der Suche (Bezirksgrenzen, kein intelligentes Routing),
  • IT-seitige Ausfälle und schlechte Performance in Spitzenzeiten,
  • inoffizielle Tools oder Bots, die das System umgehen.

Trotz hoher Akzeptabz (Bitkom Studie: Bürger fordern mehr Tempo bei der Digitalisierung ihrer Stadt | Presseinformation | Bitkom e. V. ) ist das Nutzererlebnis häufig frustrierend. Und: Die vorhandene technische Plattform (entwickelt und betrieben vom ITDZ) kann aus strukturellen Gründen nicht flexibel auf veränderte Bedarfe reagieren – etwa bei stark schwankendem Nachfrageverhalten, Sonderlagen oder kurzfristig verfügbaren Slots.

Dabei bietet genau dieses Problemfeld enormes Potenzial für eine kooperative, zukunftsweisende Lösung. Denkbar wäre die Entwicklung eines vollständig modularen, nutzerzentrierten Systems mit folgenden Funktionen:

  • Bezirksübergreifende Termin-Suchmaschine in Echtzeit
  • Push-Benachrichtigungen bei frei werdenden Terminen
  • Digitale Warteliste mit intelligenter Priorisierung
  • KI-gestützte Prognosen und Auslastungssteuerung
  • Check-in-Funktionen mit mobiler Terminverwaltung
  • Barrierefreie, mehrsprachige Oberfläche (App & Web)

Diese Komponenten könnten im Rahmen eines kooperativen Entwicklungsprojekts entstehen – mit Beteiligung des ITDZ, der Bezirksämter, Nutzergruppen und der regionalen Digitalwirtschaft.

Der SIBB e. V., das führende Netzwerk der IT- und Digitalwirtschaft in Berlin-Brandenburg (https://www.sibb.de), wäre prädestiniert, solche Kooperationsformate strukturiert zu begleiten – etwa im Rahmen eines „GovTech-Use-Case Berlin: Terminvergabe neu gedacht“. Ziel wäre ein öffentlich sichtbares Pilotprojekt für bürgerzentrierte Verwaltungsmodernisierung durch Co-Innovation.


4. Der digitale Neustart: Strategie, Innovation, Steuerung

Die angekündigten Maßnahmen des Berliner Senats adressieren zentrale strukturelle Herausforderungen:

a) Digitalstrategie & Gesetzgebung

Ein neues Digitalgesetz soll die Zuständigkeiten zwischen Senat, Bezirken und ITDZ klarer regeln und verbindliche Standards setzen.

b) Innovationslabor (InnoLab)

Das ITDZ hat ein eigenes InnoLab eröffnet – ein Ort, an dem KI, Automatisierung, digitale Assistenten und VR-Prototypen unter realen Bedingungen erprobt werden.
📄 https://www.linkedin.com/posts/itdzberlin_kreativit%C3%A4t-kennt-keine-grenzen-unser-innolab-activity-7168968235155996672-nb0H?utm_source=share&utm_medium=member_desktop&rcm=ACoAAAUM0yoBkAveyf5yIt8cFLFu9XJFcjFDwK4

c) Architektursteuerung

Künftig sollen alle größeren IT-Vorhaben an einer einheitlichen Referenzarchitektur ausgerichtet werden. Ziel ist es, Silostrukturen abzubauen, Daten besser zu teilen und modulare, skalierbare Lösungen zu fördern.

Diese Instrumente schaffen die Grundlage für eine leistungsfähige Verwaltungsdigitalisierung. Doch sie entfalten ihr volles Potenzial nur dann, wenn sie durch gezielte Kooperation mit externen Akteuren ergänzt werden.


5. Kooperation mit der Digitalwirtschaft: Berlin muss zum GovTech-Treiber werden

Berlin hat eine der aktivsten Digitalwirtschaften Europas – doch in der Verwaltungsdigitalisierung wird dieses Potenzial bislang nur punktuell genutzt. Eine konsequente Öffnung der Verwaltungs-IT gegenüber regionalen Partnern könnte Innovationen schneller zur Anwendung bringen, Ressourcen entlasten und Lösungen stärker an den tatsächlichen Bedürfnissen der Bürger*innen orientieren.

Der SIBB e. V. als Brückenbauer

Der SIBB e. V. – der Branchenverband der IT-Wirtschaft in Berlin und Brandenburg – bietet mit Formaten wie dem Forum Public Sector, den SIBB Innovation Circles und Smart-City-Initiativen bereits heute Plattformen für Wissens- und Lösungstransfer zwischen Verwaltung und Digitalwirtschaft.

Ein nächster logischer Schritt wäre die Institutionalisierung eines „GovTech Transfer Hubs Berlin“, getragen von ITDZ, CDO-Stelle und SIBB. Dieser Hub könnte:

  • Bedarfe der Verwaltung identifizieren und aufgreifen,
  • Innovationspartnerschaften mit regionalen Anbietern gestalten,
  • und Kooperationsprojekte über neue, vergabefähige Strukturen realisieren.

Beispiel: Rahmenvertrag mit Polyteia & msg systems

Ein konkretes Beispiel für erfolgreiche Zusammenarbeit ist der Rahmenvertrag des Landes Berlin mit dem Berliner Start-up Polyteia und der msg systems ag. Über eine Laufzeit von 48 Monaten stehen bis zu 52 Millionen Euro zur Verfügung, um datenbasierte Steuerungslösungen für Berliner Behörden bereitzustellen.

📄 Quelle: LinkedIn-Mitteilung

Polyteia liefert eine cloudbasierte Plattform für Planungs- und Lagebilder – eingesetzt u. a. in Sozialverwaltung und Haushaltssteuerung. Dieses Modell zeigt: Wenn die Rahmenbedingungen stimmen, kann die Hauptstadtregion digitale Lösungen „von hier für hier“ liefern – leistungsfähig, skalierbar und anschlussfähig an moderne Verwaltungsbedarfe.


6. Fazit: Öffnung, Kooperation und Umsetzungsstärke

Berlin hat sich mit dem Digitalneustart auf den richtigen Weg begeben. Entscheidend ist jetzt, dass die neue Strategie nicht bei internen Strukturen stehen bleibt – sondern nach außen wirksam wird:

  • Das ITDZ Berlin sollte sich als Plattformanbieter und Kooperationsarchitekt verstehen.
  • Die Politik sollte klare Impulse für Partnerschaft mit der regionalen IT-Wirtschaft setzen.
  • Pilotprojekte wie die Terminvergabe können zum Reallabor einer neuen digitalen Verwaltungskultur werden.

Die Herausforderung ist groß – aber die Ressourcen sind vorhanden. Wenn Verwaltung, Politik und Digitalwirtschaft jetzt entschlossen gemeinsam handeln, kann Berlin zeigen, wie bürgernahe, resilient und kooperativ gedachte Digitalisierung konkret gelingt.


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